Der Deutsche Werberat wird 50 und alle gratulieren
Thomas Hinderer, Vorsitzender des Deutschen Werberats
„Es sind herausfordernde Zeiten für die Selbstregulierung: Wir sichern durch unsere Arbeit nicht weniger als die für eine Demokratie unerlässliche freie und unabhängige Finanzierung von Medien. Das gelingt uns, wenn wir nah an der gesellschaftlichen Entwicklung sind und das Empfinden von Verbraucherinnen und Verbrauchern mit den werblichen Interessen der Industrie in Einklang bringen."
Thomas Hinderer, seit Mai 2022 Vorsitzender des Deutschen Werberats, im Interview
Was hat Sie daran gereizt, den Vorsitz des Deutschen Werberats zu übernehmen?
Die Arbeit des Deutschen Werberats habe ich über Jahre aus der Industrie- und Marken-Perspektive verfolgt, da ist es natürlich spannend, hinter die Kulissen zu gucken. So richtig an die Öffentlichkeit gelangen ja nur die Extreme, was aber bewegt Menschen so sehr, dass sie sich an den Werberat wenden? Außerdem hat mich gereizt, den Wandel in der Werbung und ihrer Akzeptanz zu begleiten – nie haben sich Kommunikationsmöglichkeiten schneller entwickelt als in den letzten zehn Jahren, da muss die Selbstregulierung am Ball bleiben.
Was macht eine zeitgemäße Selbstregulierung aus?
Aus meiner Sicht ist sind das zwei Faktoren: Wir müssen jederzeit für das Empfinden der Menschen, für die Werbung ja immerhin gemacht ist, offen sein. Die Nahbarkeit und Erreichbarkeit des Deutschen Werberats ist also eine wichtige Aufgabe, ähnlich wie die transparente Dokumentation der Entscheidungen. Außerdem muss eine zeitgemäße Selbstregulierung die aktuellen Kommunikationsarten im Blick haben und gleichzeitig antizipieren, was noch möglich sein wird. Jahrzehnte lang gab es Print, Radio und TV, jetzt sind die Spielarten so vielfältig, dass wir als Werberat mit sehr offenen Augen und einer gut geputzten Glaskugel durch die Werbewelt gehen müssen.
Nehmen Sie Werbung jetzt anders wahr als vorher?
Werbung fand ich immer schon grundsätzlich unterhaltsam – mal mehr, mal weniger – inzwischen versuche ich sie aber auch mehr durch die Augen anderer Menschen wahrzunehmen. Außerdem sehe ich mir aktiv und bewusst alle Plattformen und die werbliche Bespielung an, von den klassischen Werbegattungen bis hin zu Whatsapp und TikTok.
Der Deutsche Werberat über die Jahrzehnte
1972 bis 1981
Am 8. November 1972 wird von den damals 33 ZAW-Mitgliedsverbänden der „Deutsche Werberat“ gegründet, das Selbstkontrollgremium der deutschen Werbewirtschaft wird heute 50. 1973 setzen die ZAW-Verbände freiwillige Verhaltensregeln für die Werbung vor und mit Kindern in Funk und Fernsehen in Kraft. Mit einer Broschüre startet der Werberat 1974 eine Informationsaktion für die Bevölkerung und dokumentiert die Entscheidungspraxis in den Medien. 1976 setzt der Werberat 14 Punkte umfassende Verhaltensregeln über die Werbung für alkoholhaltige Getränke in Kraft. In der Anzeigenkampagne „Werbung in Grenzen“ wird die Bevölkerung über die Arbeit der Werbeselbstkontrolle informiert. Die Resonanz auf eine weitere Anzeigenkampagne im Jahr 1980 ist sehr positiv, die Broschüre „Werbung pro & kontra“ wird 125.000-mal angefordert. Im zehnten Jahr des Bestehens, 1981, erreichen den Werberat Beschwerden zu 464 Werbemaßnahmen. Frauenrat und Werberat beschließen im selben Jahr enger zusammenzuarbeiten. Im ersten Jahrzehnt hat der Werberat 1.952 Beschwerden bearbeitet.
1982 bis 1991
Im Jahr 1983 veröffentlicht der ZAW „Nüchterne Fakten zur Werbung für alkoholische Getränke“ sowie Schüler- und Lehrerhefte für alle Jahrgansstufen zum Thema „Werbung, Wirtschaft und Gesellschaft“. Im selben Jahr beschließt das Bundesverfassungsgericht, dass das Grundrecht der Pressefreiheit auch für die Werbung gilt. In einer Fallstudiensammlung für Werbepraktiker informiert der ZAW 1984 über Schleichwerbung. 1985 stellt das Bundesfamilienministerium fest, dass frauendiskriminierende Werbung zurückgegangen ist. In der Publikation „Thema Werbung“ beleuchtet der ZAW einerseits die werbliche Kommunikation, andererseits das – falsche – Bild, das die Politik vom Verbraucher hat. Mit der Wiedervereinigung 1989 steht der Deutsche Werberat auch den Konsumenten in Ostdeutschland als Beschwerdeinstanz zur Verfügung. Auf Initiative des ZAW und des Deutschen Werberats wird 1991 in Brüssel die European Advertising Standards Alliance (EASA) gegründet, die sich auch grenzüberschreitender Beschwerdefälle annimmt. Im zweiten Jahrzehnt hat der Werberat 2.487 Beschwerden bearbeitet.
1992 bis 2001
1992 werden die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats verbindliches Standesrecht.
Der ZAW veröffentlicht 1994 eine Analyse zum Konsumverhalten von Kindern: „Kinder, Kinder – Über das Unbehagen an der Werbung“ und im Jahr 1997 einen Diskussionsbeitrag als Plädoyer für ein differenziertes Menschenbild: „“Werbung. Und Moral“. An den Beschwerdegründen ist zu diesem Zeitpunkt abzulesen, dass der Fokus der Bevölkerung inzwischen auf gesellschaftskritischen Themen wie Diskriminierung liegt. 1999 unterzeichnen die 44 ZAW-Verbände eine „Deklaration der deutschen Wirtschaft zur Werbefreiheit“. Im dritten Jahrzehnt hat der Werberat 4.631 Beschwerden bearbeitet.
2002 bis 2011
In „Werbung für Deutschland“ plädiert der ZAW 2002 erneut nachdrücklich für ein eigenverantwortliches Verbraucherbild. Bedingt durch den gesellschaftlichen Wandel werden 2005 die Themen Alter und Tod relevanter in der Arbeit des Werberats.
Die 2006 begonnene Grundsatzdebatte über das Verhältnis von Staat und Wirtschaft nimmt 2007 Fahrt auf. Der Werberat startet daraufhin 2008 das Dialogformat „Konferenz Werbung und Gesellschaft“. Ab 2009 können Unternehmen ihre geplante Werbung vor der Veröffentlichung von ZAW-Experten auf rechtliche Korrektheit, Übereinstimmung mit dem Werberatsregelwerk und politisch-gesellschaftliche Relevanz prüfen lassen. Die freiwilligen Verhaltensregeln über die kommerzielle Kommunikation für Lebensmittel treten 2010 in Kraft, im Fokus stehen dabei insbesondere Kinder. Stand 2011 wurden 17.756 Beschwerden bearbeitet, 2.709 Kampagnen wurden beanstandet und 114 öffentlich gerügt. Die Durchsetzungsquote beträgt damit 96 Prozent.
2012 bis heute
Im Jahr 2013 bekennt sich der Deutsche Werberat bei einer Veranstaltung ausdrücklich zum Kinder- und Jugendschutz und gegen Diskriminierung, 2014 wird die Rubrik „Geschlechterdiskriminierende Werbung“ erstmals in die Statistik aufgenommen. Der Werberat setzt 2015 den Fokus auf Prävention und veranstaltet praxisnahe Workshops für alle Bereiche der Werbeindustrie. Im selben Jahr erweitert er den Geltungsbereich der Regeln für Alkoholwerbung auf Social Media. 2017 wird eine aktualisierte Fassung der Verhaltensregeln für die Werbung vor und mit Kindern und Jugendlichen veröffentlicht, 2018 folgt ein digitaler Leitfaden, der die Verhaltensregeln der Werbebranche erstmals auch bildhaft mit nachgestellten Werbemotiven erläutert. Bei der Modernisierung des global gültigen ICC-Werbe- und Marketingkodex spielt der Deutsche Werberat eine aktive Rolle. Auch die Verhaltensregeln über die kommerzielle Kommunikation für Lebensmittel werden aktualisiert, um weitere Vorgaben für speziell an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung ausgebaut und 2021 in Kraft gesetzt. Corona hinterlässt in diesem Jahr auch bei der Werbung Spuren, die internationale Selbstregulierungsorganisationen ICAS und EASA rufen aktiv zum verantwortungsvollen Handeln auf. Im fünften Jahrzehnt des Bestehens des Deutschen Werberats wurden 15.458 Beschwerden bearbeitet.
2022 übergibt der Vorsitzende des Deutschen Werberats, Dr. Hans-Henning Wiegmann, nach 15 Jahren im Amt den Staffelstab an Thomas Hinderer.
Der Werberat in Zahlen
33.602
Beschwerden erreichten den Werberat seit 1973 |
12.344
Fälle wurden vom Werberat seit 1973 bearbeitet |
3.636
Beschwerden |
1972
wurde der Deutsche Werberat in Hamburg von den ZAW-Mitgliedern gegründet |
1992
war der Deutsche Werberat Gründungsmitglied der European Advertising Standards Alliance EASA |
15
Werbeexperten |